Zwangsarbeit oder Endlösung der Judenfrage?

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Gebäude, in dem die Wannsee Konferenz im Januar 1942 stattfand
Gebäude, in dem die Wannsee Konferenz im Januar 1942 stattfand


Inhaltsverzeichnis

Vernichtung der Juden – Vernichtung durch Arbeit

Leichen  sowjetischer Kriegsgefangenen
Leichen sowjetischer Kriegsgefangenen
Richard Glücks, Leiter der Inspektion der Konzentrationslager
Richard Glücks, Leiter der Inspektion der Konzentrationslager

In Folge der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 begann die wahre Bedrohung der jüdischen Bevölkerung. Von da an, war das Ziel der Nationalsozialisten die schnellstmögliche Ermordung aller Juden im deutschen Herrschaftsbereich.[1] Gleichzeitig aber bedeutete die fatale Entwicklung an der Ostfront einen akuten Arbeitskräftemangel im Deutschen Reich. Daher ordnete Reichsführer Heinrich Himmler in einem Schreiben an General Richard Glücks, den damaligen Inspekteur der Konzentrationslager an, er habe in den nächsten Wochen 150 000 jüdische Menschen in seinen Lagern aufzunehmen. Innerhalb von drei Monaten, von November 1941 bis Januar 1942 starben eine halbe Million russischer Kriegsgefangener in deutschen Lagern. Daraus entstand ein Mangel an Arbeitskräften, den die jüdische Menschen kompensieren sollten. Die Nationalsozialisten sprachen unverblümt von „Vernichtung durch Arbeit“.[2]

Ausbeutung der jüdischen Arbeitskraft

Jüdische Häftlinge bei der Zwangsarbeit in Plaszow, Polen, 1943-44
Jüdische Häftlinge bei der Zwangsarbeit in Plaszow, Polen, 1943-44

Aus den Sitzungsprotokollen der Regierung des Generalgouvernements geht hervor, dass man die Arbeitskraft der Juden während des Krieges – ungeachtet der später beabsichtigten Vernichtung – ausbeuten wollte. Generalleutnant Maximilian Schindler, Chef der Rüstungsproduktion in Krakau äußerte gegenüber dem Generalgouverneur Frank, es sei unklug, der Wirtschaft und Industrie die jüdischen Arbeitskräfte zu entziehen. Zwar sei er für grundsätzlich für die Aussiedlung (sprich Vernichtung), doch empfehle er, die Judenfür die Dauer des Krieges arbeitsmäßig zu erhalten.“[3] Mitte Juli 1942 beispielsweise seien „fast die gesamten Reparaturen an Uniformen und Stiefeln“ für die Soldaten der Ostfront von jüdischen Zwangsarbeitern erledigt worden.[4] General Schindlers Vorschlag, einen Teil der im Generalgouvernement lebenden Juden als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie einzusetzen und ihnen höhere Verpflegungsrationen zuzuweisen, fand zunächst die Unterstützung von Generalgouverneur Hans Frank. Die Nutzung der jüdischen Arbeitskraft stand allerdings im Widerspruch zur Anordnung Himmlers vom 19. Juli 1942, dass das Generalgouvernement bis zum Ende des Jahres von den „ befreit“Juden sein müsse.[5]

Zwangsarbeit oder Endlösung ?

Buchenwald-Häftlinge bei Zwangsarbeit, 1937/38
Buchenwald-Häftlinge bei Zwangsarbeit, 1937/38

Die NS -Führung hatte folglich die Aktionen für den geplanten Massenmord an den Juden in Gang gesetzt, doch sie war sich uneinig darüber, was Vorrang haben solle, das Ziel der Endlösung oder die Ausbeutung der jüdischen Arbeitskräfte für die Kriegswirtschaft. Die arbeitsunfähigen Juden sollten in die Vernichtugslager gebracht werden, die arbeitsfähigen zur Zwangsarbeit in die Konzentrationslager. Noch immer gerieten die rassenpolitischen und die militärisch-wirtschaftlichen Ziele in Konflikt. Deswegen hatten zunächst die rassenpolitischen Ziele Vorrang. Die arbeitsfähigen Juden sollten „möglichst viel produktive Arbeit leisten und dabei zu Tode geschunden werden“.

Dr. Josef Bühler, Staatssekretär im Generalgouvernement plädierte dafür, mit der „Endlösung“ zu beginnen. „ Juden müssten so schnell wie möglich aus dem Gebiet des Generalgouvernements entfernt werden, weil gerade hier der Jude als Seuchenträger eine eminente Gefahr bedeutet und er zum anderen durch fortgesetzten Schleichhandel die wirtschaftliche Struktur des Landes dauernd in Unordnung bringt. Von den in Frage kommenden etwa 2,5 Millionen Juden sei überdies die Mehrheit der Fälle arbeitsunfähig.“[6]

Ein judenfreies Generalgouvernement ?

Zwangsarbeit in einer Nähfabrik, zwischen 1941 & 1945, Theresienstadt Ghetto, ehem. Tschechoslowakei
Zwangsarbeit in einer Nähfabrik, zwischen 1941 & 1945, Theresienstadt Ghetto, ehem. Tschechoslowakei
Jüdische Frauen bei Näharbeiten, Lodz Ghetto, Polen
Jüdische Frauen bei Näharbeiten, Lodz Ghetto, Polen

Die Anordung Himmlers vom 19. Juli 1942, das Generalgouvernement bis Ende 1942 „judenfrei“ zu machen, wurde konsequent durchgeführt. Ausnahmen von dieser Regelung bildeten nur die Juden in den Zwangsarbeiterlagern Krakau, Warschau, Czestochowa, Radom und Lublin. Alle anderen Betriebe, in denen Juden arbeiteten, mussten entweder geschlossen oder in diese Lager verlegt werden. Ausnahmen bedurften der ausdrücklichen Genehmigung Himmlers. Diese Maßnahmen seien notwendig für die „Neuordnung Europas und für die Sicherheit und Sauberkeit des deutschen Reiches und seiner Interessenssphären. Jede Zuwiderhandlung gefährde die Ruhe und Ordnung und lege in Europa den Keim zu einer Widerstandsbewegung und lassen den Kontinent zu einem sittlichen und physischen Pestilenzherd verkommen.“[7]

Verzweifelt bemühte sich die Rüstungsinspektion im Konflikt mit der SS darum, die Notwendigkeit jüdischer Arbeitskräfte für die Rüstungswirtschaft einerseits und die Unsinnigkeit der von der SS betriebenen Umsiedelungsaktion andererseits zu belegen. Würde man die Juden in den Bereichen der Textilindustrie, in der Fahrzeugproduktion verlieren, führe das zu Produktionsausfällen zwischen 25 und 100 Prozent.[8]

Konzentrationslager in Europa
Konzentrationslager in Europa

Zusammenfassung der Juden in Konzentrationslagern

Generalleutnant Curt Ludwig Freiherr von Gienanth
Generalleutnant Curt Ludwig Freiherr von Gienanth

Auf diesen Brief Generalleutnant Gienanths an das OKW am 5. September 1942 reagierte Himmler am 9. Oktober mit einem Rundschreiben, in dem er betonte, dass in den „wirklichen“ Rüstungsbetrieben die Juden in gesonderten Werkhallen eingesetzt werden, die zu Fabriklagern und diese wiederum zu großen KZ-Lagerbetrieben zusammengefasst werden sollten, und zwar im Osten des Generalgouvernements. ..... „Jedoch auch dort sollen eines Tages dem Wunsche des Führers entsprechend die Juden verschwinden.“[9]

Kompromiss

Die Wehrmacht solle ihre Aufträge an SS-Betriebe vergeben, welche die Lieferung gewünschter Uniformteile gewährleisten würde. Wer aber glaube, angebliche Rüstungsinteressen vorschützen zu können, während er in Wirklichkeit die Juden und ihre Geschäfte in Schutz nehmen wolle, der könne kein Entgegenkommen erwarten. Schließlich einigten sich beide Seiten, Rüstungsinspektion und SSauf den „Abbau jüdischer Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie, aber ohne „Störung der Produktion“. Für die Bereitstellung der Lagerarbeiter erhielt die SS von der Rüstungsinspektion einen Tagessatz von 5 Zloty pro Mann und 4 Zloty pro Frau, abzüglich eines Betrages von 1,60 Zloty für den Unterhalt der Arbeitskräfte.[10] Diese Vereinbarung war in Kraft, als Julius Madritsch und Oskar Schindler ihre Fabriken eröffneten.

Verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft

Hans Frank, Generalgouverneur Polens
Hans Frank, Generalgouverneur Polens
Juden in Auschwitz-Birkenau (Szene aus dem Film 'Schindlers Liste')
Juden in Auschwitz-Birkenau (Szene aus dem Film 'Schindlers Liste')

Doch diese Vereinbarung zwischen der SSund der Wehrmacht über die Rüstungsproduktion betraf nicht die Privatunternehmen, die jüdische Arbeitskräfte zur Kriegsproduktion einsetzten. Als die SSmit den Massenverhaftungen und Aussiedlungsaktionen in die Vernichtugslager Auschwitz II - Birkenau, Sobibór, Treblinka, Belzec, Kulmhof und Majdanek begann, standen viele dieser Unternehmen ohne Arbeitskräfte da und mussten schließen. Auf diesen Sachverhalt bezog sich der Generalgouverneur Frank in einer Besprechung am 9.12.1942:

Nicht unwichtige Arbeitskräfte hat man uns in unseren altbewährten Judenschaften genommen. Es ist klar, dass der Arbeitsprozess erschwert wird, wenn mitten in dieses Arbeitsprogramm des Krieges der Befehl kommt, alle Juden sind der Vernichtung anheim zu stellen. Die Verantwortung hierfür trifft nicht die Regierung des Generalgouvernements. Die Weisung der Judenvernichtung kommt von höherer Stelle. Wir müssen uns nur mit den Schlussfolgerungen abfinden und können auch den Reichsstellen nur mitteilen, dass die Wegholung der Juden arbeitsmäßig zu ungeheuersten Schwierigkeiten geführt hat. Ich habe neulich... beweisen können, dass das nicht passiert wäre, wenn nicht die vielen tausend dort eingesetzten Juden abgeholt worden wären. Nun lautet der Befehl, dass die Juden aus der Rüstung wegzuholen seien; ich hoffe, dass dieser Befehl, wenn nicht bereits aufgehoben, noch aufgehoben wird, denn dann sieht die Lage noch schlimmer aus.“[11]

Krematorium des KZ Majdanek
Krematorium des KZ Majdanek

Das Lagersystem

Gliederung des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes unter SS Obergruppenführer Oswald Pohl
Gliederung des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes unter SS Obergruppenführer Oswald Pohl

Als Göth im Februar 1943 Kommandant des Zwangsarbeitslagers Plaszów wurde, „hatte die SS die unbeschränkte Verfügung über die jüdischen Arbeitskräfte im Generalgouvernement“. Sämtliche Arbeitskräfte für die Rüstungsbetriebe in diesem besetzten Teil Polens wurden durch die SS gestellt. Die Umstrukturierung des Lagersystems begann Anfang 1942 als SS Obergruppenführer Oswald Pohl das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg schuf. Dieses war in 4 Amtsgruppen gegliedert (D, D2, D3,D4).

Konsequenzen aus Stalingrad

Selektion ungarischer Juden im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Polen, Mai 1944
Selektion ungarischer Juden im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Polen, Mai 1944

Kurz bevor Göth das Kommando in Plaszów übernahm, hatte die Wehrmacht in Stalingrad eine vernichtende Niederlage erlitten. Damit verschärfte sich der Konflikt „in der NS -Führung zwischen jenen, die das Vernichtungsprogramm an den Juden fortsetzen wollten auf der einen und denjenigen, die dies mit den umfassenderen wirtschaftlichen Interessen des Großdeutschen Reiches abstimmen wollten, auf der anderen Seite. Die SS ließ nicht ab von ihrem Ziel, Europa von seinen ‚Rassefeinden’ zu befreien. Darum lag es bei Maurers Amtsgruppe D2, den Ausgleich zwischen diesem Ziel und den Notwendigkeiten der schwer geforderten Rüstungsindustrie zu suchen.“[12]

Einzelnachweise

  1. Mietek Pemper, Der Rettende Weg. Schindlers Liste- die wahre Geschichte; Hamburg 2005, S.88
  2. M. Pemper, a.a.O., S.89
  3. Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939-1945, Stuttgart 1975, S. 516
  4. ebenda, S. 525
  5. siehe Text unten: „Judenfreies Generalgouvernement“.
  6. Zitiert nach Crowe, S. 189
  7. zitiert nach Crowe, S. 191
  8. Vier Monate nach der Kapitulation von Stalingrad meinte General Schindler nach einer Unterredung mit Himmler im Mai 1943, der „Wunsch des Reichsführer-SS“ (das GG judenfrei zu machen) werde wohl „im Endeffekt nicht erfüllt werden“ können, Himmler müsse von „der Wegnahme dieser jüdischen Arbeitskräfte Abstand“ nehmen. Vgl. Pemper, S. 89
  9. Crowe, S. 193
  10. ebenda, S. 194
  11. Frank, zitiert nach R. Hilberg, Die Vernichtung der europäischen ,Juden Band 2, S. 555f
  12. David Crowe, Oskar Schindler; Frankfurt 2005; S.279
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