Kapitel 9 - Schindlers Liste - Die Unbekannte Vorgeschichte
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„Niemand außer Schindler zeigte Interesse an unserem Schicksal. Sein Mut gab mir das Vertrauen in die Menschheit zurück. Wenn ich ihn im Lager traf, wusste ich, es gibt eine andere Welt für die es sich lohnt zu leben.“
– Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Schindlers Liste, Die Wahre Geschichte, Hamburg 2005, S.102
Göths Pech war Mieteks Glück
Mietek Pemper war fest davon überzeugt, dass er den Krieg nicht überleben werde, sondern über kurz oder lang von Göth erschossen werde - ebenso glaubte Göth, dass er bis zum Kriegsende Lagerkommandant bleiben werde. Beides war nicht der Fall: Mietek Pemper überlebte den Krieg und Amon Göth wurde aufgrund Amtsanmaßungen von Dr. Konrad Morgen,SS-Untersuchungsrichter, in Wien am 13.September 1944 verhaftet. Göth hatte sich während der Liquidierung der Ghettos in Krakau und Tarnów an den Wertsachen der Juden bereichert, hatte Möbelstücke und Kunstgegenstände geraubt und die Lebensmittel für die Häftlinge auf dem Schwarzmarkt verkauft. Zudem wurde er wegen Gefangenenmisshandlung angezeigt.
Ende der SS-Karriere von Göth
Beim Kriegsverbrecherprozess gegen Göth sagte Mietek Pemper aus:
„Angezeigt haben ihn seine Untergebenen ... Er war bekannt für seine Brutalität und die Ausnutzung der Gefangenen und seiner Untergebenen“
Den SS-Leuten waren Göths Schwarzmarktgeschäfte ein Dorn im Auge. Göth selbst hatte seine Leute wegen kleinster Vergehen vor ein SS- und Polizeigericht geschickt. Deswegen taten sich einige SS-Leute zusammen und zeigten ihn vor dem Gericht an. Dies führte zu Göths Karriere-Ende.
Herrschaftswissen gefährdet Mietek Pempers Leben
Im Lager wusste zunächst niemand von der Verhaftung von Göth, bis SS- Juristen in dem Lager erschienen und jeden verhört hatten, der etwas mit Göth zu tun gehabt hatte - also insbesondere Mietek Pemper, den jüdische Lagerarzt Dr. Leo Groß und den Architekten Zygmunt Grünberg. Da der Schutzhaftlagerführer, Lorenz Landstorfer den SS-Juristen mitteilte, dass Mietek Pemper das besondere Vertrauen von Göth besessen habe, wurde er nochmals verhört. Mietek Pemper hatte als „streng geheim“ eingestufte Alarm- und Verteidigungspläne des Lagers geschrieben. Dies hatte Landstorfer gesehen. Mietek Pemper verharmloste den Tatbestand, konnte aber die Besorgnis des Richters nicht entkräften.
Mietek Pemper kam für zwei Wochen in Isolierhaft und durfte mit niemanden sprechen. Eine neue Vernehmung folgte, um herauszufinden, ob Pemper Dienstgeheimnisse erfahren habe. Normalerweise wurden vermeintliche Geheimnisträger zur Liquidierung nach Dachau gebracht. Mietek Pemper argumentierte, dass vieles für geheim gelte, was für die Lagerinsassen völlig offensichtlich sei. Aber noch konnte er den Offizier nicht überzeugen, so dass weitere Verhöre im September 1944 folgten.
Ein Beispiel überzeugt
Als in Plaszow Barackenteile in andere Lager abtransportiert wurden, und die Transportmeldungen als geheim eingestuft wurden, konnte Mietek Pemper den Offizier überzeugen, dass er eben nicht als Geheimnisträger einzustufen sei. Erstaunlich war lediglich, dass der Richter von ihm wissen wollte, wie lange er noch im Lager bleiben müsse. Ob er wohl die Judenpolitik seines Regimes nicht kannte? Ein Richter, der nicht wusste, dass es keines juristischen Urteils bedurfte, um Juden in den Tod zu schicken?
Amon Göth wurde seine Gier zum Verhängnis. Pemper konnte bestätigen, dass er ein Landgut und ein Bankhaus hatte erwerben wollen. Am 27. September 1944, zwei Wochen nach Göths Verhaftung und am Vorabend von Jom Kippur konnte Mietek Pemper ins Lager zurückkehren. Aber das Damoklesschwert hing weiter über ihm, noch in Brünnlitz wurde er ein weiteres Mal verhört. Auch dieses Mal konnte er den Verdacht der SS-Juristen zerstreuen.
Schindlers Liste
Im September 1944 war Oskar Schindler in intensiven Verhandlungen mit den zuständigen Behörden, damit eine möglichst große Anzahl an Arbeitern aus dem Lager Lager Plaszów nach Brünnlitz verlegt werden konnte. Nach Mietek Pempers Entlassung sprach Oskar Schindler sofort mit ihm und teilte ihm mit, dass Mietek Pempers ganze Familie und auch die von Stern auf die Liste kämen, obwohl weder Pempers Eltern noch sein Bruder in der Emalia gearbeitet hatten. Oskar Schindler wusste sehr wohl, was er an Pemper hatte.
Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Kommandantur im alten Sinne- jedoch befand sich Mietek Pemper wieder in der Dienststelle des Arbeitseinsatzführers. Nach den großen Transporten im Hochsommer 1944 nach Auschwitz, Mauthausen und Stutthof, lebten noch etwa noch 7.000 Häftlinge in dem sich langsam auflösendem Lager.
Entstehen der Liste
Die heute berühmte Liste entstand im Büro des Arbeitseinsatzführers, SS- Hauptscharführer Franz Müller. Auf dieser Liste, welche von mehreren Lagerinsassen geschrieben wurde, musste jede Angabe richtig sein - laufende Nummer, Häftlingsnummer, Vor- und Nachname, Geburtsdatum und Berufsbezeichnung. Einige Seiten wurden mehrmals umgeschrieben, Pemper selbst tippte einige Seiten der Liste neu.
Die These David Crowes, Oskar Schindler habe nichts mit der Erstellung der Liste zu tun gehabt, ist abwegig und wurde sowohl durch Dr. Werner Schneider wie von Mietek Pemper eindeutig widerlegt. (siehe oben, Oskar Schindler, Kapitel 8 und Schindlers Liste, Genese Text 1 mit genauen Ausführungen)
„Doch das Entscheidende war weniger die Liste zu erstellen als vielmehr die kontinuierlich gesetzten Mosaiksteinchen der vielfältigen Widerstandsleistungen, die die Liste erst möglich machten.“
– Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 189
Unter den Tausenden im Sommer 1944 in andere Lager abtransportierten Häftlingen waren auch einige Hundert Arbeiter aus Oskar Schindlers „Emalia“, ohne dass dies Oskar Schindler hätte verhindern können.
Zusammenarbeit zw. Schindler und Pemper
Schon im Lager Lager Plaszów hatte Mietek Pemper vom Frühjahr 1943 bis Herbst 1944 eng mit Oskar Schindler zusammengearbeitet. Dies war nur durch seine einzigartige Stellung bei Göth möglich, ohne die exklusiven Informationen aus der Lagerkommandantur wäre vieles nicht erreichbar gewesen. Mietek Pemper konnte nach Auswertung der Lagerpolitik der SS an Oskar Schindler verklausuliert Informationen weitergeben. So gelang es, dass das Lager Plaszow vor der frühzeitigen Schließung bewahrt werden konnte und bis Herbst/Winter 1944 als KZ fortexistierte. Diesem Umstand verdankten viele Menschen ihr Leben.
Liste als Resultat mutiger Einzelaktionen und der Vorarbeiten
Oskar Schindlers Liste ist das krönende Resultat dieser Vorarbeit und mutiger Einzelaktionen.Oskar Schindler entwickelte sich in diesen Jahren von einem profitorientierenden Geschäftsmann zu einem überzeugten Lebensretter.Oskar Schindler betonte 1956:
„Es ist wesentlich festzuhalten ..... dass meine Wandlung nicht nach dem 20. Juli 1944 eintrat, wo längst alle Fronten zusammenkrachten und viele nicht mehr wollten, sondern vier Jahre vorher, wo deutschen Blitzkriege der Welt den Atem nahmen.“[1]
Namentliche Anforderung von Häftlingen
Es war nicht so, wie es Steven Spielberg in dem Kinofilm „Oskar Schindlers Liste darstellte, dass Oskar Schindler einfach Stern diktierte, welche Häftlinge er haben wollte. Die Liste wurde weder von Oskar Schindler persönlich diktiert noch von Stern getippt. Listen gehörten zum Lageralltag. Bei jeder Überstellung von Häftlingen von einem KZ in ein anderes wurden Listen getippt. Aber dabei ging es immer nur um eine Anzahl von Häftlingen mit einem bestimmten Beruf, während Oskar Schindler seine Arbeiter von vornherein mit genauen Namensangaben anforderte.
Erlaubnis von Oranienburg notwendig
Für die Überstellung war stets die Genehmigung der Amtsgruppe D vonnöten und lag nicht im Ermessen des Lagerkommandanten. Demnach zu urteilen, musste Oskar Schindler sich direkt mit den Leuten in Oranienburg auseinandergesetzt haben und sie mit Geld oder anderen Geschenken überzeugt haben, dass er nicht irgendwelche ungelernten Häftlinge mit nach Brünnlitz nehmen konnte. Kontakte aus seiner früheren Spionagetätigkeit dürften hierbei hilfreich gewesen sein. Vermutlich hat er mit Nachdruck auf die Wichtigkeit eingearbeiteter Leute bei der Produktion „siegentscheidender“ Granatenteile hingewiesen haben.
Oskar Schindler äußerte sich folgendermaßen zu dieser Herausforderung:
„ Kein Außenstehender kann ermessen ... wie groß die Arbeit war, von dem gefassten Entschluss an, meine Juden nach Westen mitzunehmen, bis zur durchgeführten Tatsache, wo ich über 1.000 Menschen an einen neuen Ort in Sicherheit hatte. Chaos und Bürokratie, Neid und Böswilligkeit waren Hindernisse, die die Verlagerung illusorisch erscheinen ließen und mich an den Rand der Verzweiflung brachten. Nur der eiserne Wille, meine Juden, in deren Reihen ich im Laufe der sechs Jahre aufrichtige Freunde gefunden hatte, nicht einem Krematorium in Auschwitz oder sonst wo zu überlassen, nachdem ich diese jahrelang unter aufreibendem persönlichen Einsatz den Krallen der SS vorenthalten hatte, half mir, mein Ziel zu erreichen.“[2]
Wahl des Standortes der Firma
Im August und September rückte die Ostfront immer näher, dadurch drängte die Zeit zum Umzug nach Brünnlitz. Die SS–Führer in Berlin und Krakau wussten, dass bei einer Hinauszögerung der Entscheidung der Wert der Geschenke Oskar Schindlers an sie sich steigern würde. Er wiederum musste aufpassen, dass er nicht der Beamtenbestechung bezichtigt würde.Oskar Schindler hätte auch einen anderen Standort für seine Fabrik wählen können, etwa das Rheinland oder Simmering, aber dann hätte er „seine Juden“ im Stich lassen müssen. Infolge seiner guten Beziehungen ins Sudetenland wählte er Brünnlitz, und das neue Lager etwa 60 km südwestlich von Breslau wurde eines von ca. 100 Außenlagern des KZ Groß Rosen.
Die Genehmigung zur Errichtung eines neuen KZ-Außenlager
Um die Genehmigung für die Errichtung des Außenlagers zu bekommen, war nicht einfache Bestechung Göths vonnöten, wie es in Steven Spielbergs Film den Anschein hatte, sondern die Amtsgruppe D, zuständig für die Konzentrationslager musste die Genehmigung hierzu gegeben haben, ebenso die Rüstungsinspektion im Generalgouvernement unter Generalleutnant Maximilian Schindler. Ohne entsprechende amtliche Verfügungen aus Oranienburg und Krakau hätten nicht einfach über 1000 Menschen das KZ Plaszow in Richtung Groß Rosen und schließlich nach Brünnlitz verlassen können. Aber diese Bürokratie erwies sich insofern als Vorteil, denn nur diese ermöglichte Oskar Schindler im November 1944 seine 300 im KZ Auschwitz auf den Weitertransport wartenden Arbeiterinnen ins Arbeitslager Brünnlitz zu schaffen.
Auswahl der Juden für die Liste
Bei der Erstellung der Liste wirkten mehrere Personen mit. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde der eine oder andere Platz auf der Liste durch Geschenke oder Geld möglich.Oskar Schindler hatte aber letztlich die Federführung. Er wollte „seine Leute“, d.h. sein jüdisches Arbeitskommando- in der Emailwarenfabrik auf der Liste. Hinzu kamen jene, die der Fertigung der Granatenteile zugeteilt waren, also die Leute aus der Abteilung „MU“. Oskar Schindler bestimmte auch, Ehepaare und Familien komplett auf die Liste zu nehmen.
Listen über Listen
Oskar Schindlers Koffer enthielt eine Liste, die seit dem Fund als „Schindlers Liste“ gilt. Sie ist mit dem Datum des 18. April 1945 versehen. Bei der durchlaufenden Nummerierung gibt es einige Lücken, die Gesamtzahl der darauf befindlichen Häftlinge beläuft sich auf rund 800 und schließt die Zahl der im Januar 1945 hinzugekommenen Häftlinge aus Golleschau und der Personen mit ein, die Oskar Schindler zusätzlich in Brünnlitz aufgenommen hatte.
Häftlingsliste von Groß-Rosen
Im Archiv und Museum Auschwitz-Birkenau fand sich eine Namensliste der männlichen Häftlinge Groß Rosen – AL Brünnlitz, datiert vom 21. Oktober 1944, die genau 700 Namen umfasst. Auf der letzten Seite dieser Liste findet sich Mietek Pempers Namen unter der laufenden Nummer 668. Diese Häftlingsliste wurde in Groß Rosen erstellt. Die Häftlingsnummer 69514 behielt Pemper bis zu seiner Befreiung und war nicht identisch mit der Nummer vom AL Plaszow. Die dort angefertigte Häftlingsliste muss als verschollen gelten. Vergleicht man die beiden Listenfassungen miteinander, fällt auf, dass es keine ganz alten und keine ganz jungen Menschen darauf gibt, alle haben einen handwerklichen Beruf. Die zusätzlichen Abkürzungen wie die Altersangaben sollten dazu dienen, die Menschen vor willkürlicher Selektion zu schützen. Die Abkürzung „ang.“ (=angelernter Arbeiter) beispielsweise erhielten Intellektuelle, deren wirklicher Beruf sie für eine Position einer Fachkraft in der Rüstungsindustrie verdächtig gemacht hätte.
Die Rolle Marcel Goldbergs
Die Zahl der von der Amtsgruppe D bewilligten Häftlinge - 700 Männer und 300 Frauen - war höher als die der Ende September 1944 noch verbliebenden jüdischen Arbeiter in Oskar Schindlers Fabrik. Folglich gab noch freie Stellen auf der Liste, die für die Menschen die Chance zum Überleben boten, sobald sie auf der Liste standen. Aber Mietek Pemper und die anderen Beteiligten konnten nicht nach eigenem Ermessen Namen in die Liste eintragen. Allerdings spielten egoistische Interessen eine Rolle. Marcel Goldberg, ehemals Häftlingsschreiber bei Arbeitseinsatzführer SS-Hauptscharführer Franz Müller bereicherte sich auf diese Weise. Goldberg, mittlerweile verstorben, soll einige Menschen auf die Liste durch nicht unbeachtliche Gegenleistungen gesetzt haben- auch dann, wenn er dafür andere von der Liste streichen musste. Dies bedeutete dann für die von der Liste gestrichenen den sicheren Tod. Nach dem Krieg musste sich Goldberg verstecken, weil sogar der israelische Geheimdienst nach ihm fahndete.
Listenmanipulation
Julius Madritsch, Textilfabrikant, bat Oskar Schindler ca. 20 Vorarbeiter auf die Liste zu setzen - was dieser auch tat. Zusätzlich gelangten auch andere Häftlinge aus dem Hauptlager ohne Wissen Oskar Schindlers auf die Liste. Mietek Pemper besaß keine Entscheidungsbefugnis, sondern er hielt sich an die Vorgaben von Oskar Schindler. Bis heute macht sich Pemper zum Vorwurf, zu wenig für seine entfernteren Familienangehörigen getan zu haben.Mietek Pempers Cousin, nur einige Jahre jünger, überlebte den Krieg nicht.
Allerdings war es ein bestimmtes Wagnis, wenn so viele Personen mit gleichem Namen auf der Liste gestanden hätten. Es hätte zu einer willkürlichen Streichung von Namen kommen können, neuerliche Nachfragen und Kontrollen wären denkbar gewesen. Ebenso bestand die Gefahr, dass Goldberg, der dermaßen viel manipulierte, Mietek Pemper selbst, seinen Vater, seine Mutter oder seinen Bruder von der Liste gestrichen hätte:
„Das Perfide bei allen Entscheidungen im Lager war, dass man nie mit Sicherheit ihre Konsequenzen voraussehen konnte.“
Oskar Schindler wollte auch Madritsch dazu bewegen, dass er auch seine Juden retten solle, dieser schien jedoch daran nicht interessiert und verlegte seine Fabrik an den Bodensee. Damit überließ er fast 800 jüdische Arbeiter ihrem Schicksal. Mit Hilfe von Raimund Titsch, dem Werksleiter der Firma Madritsch, erstellte Oskar Schindler aus dem Stegreif eine Liste von 60 Leuten, die er als Werksschneider deklarierte und auf seine Liste setzte.[4]
Transport ins KZ Groß Rosen
2 Wochen nach seiner Entlassung aus der Einzelhaft, machte Mietek Pemper sich mit den Schindler-Juden auf den Weg nach Groß-Rosen - mit 4.500 Leuten zusammengepfercht in Viehwaggons, ohne Wasser, ohne hygienische Vorkehrungen. Die Ungewissheit war sehr groß, da niemand wusste, ob sie tatsächlich lebend ankommen oder wohin sie gebracht würden - Oskar Schindler befand sich nicht in ihrer Nähe. Unterwegs passierte etwas Unerwartetes: Der Zug blieb mitten in der Nacht stehen und der Name „Pemper“ wurde von SS–Leuten ausgerufen - sein erster Gedanke war:
„SS-Polizeigericht, jetzt holen sie mich doch noch. Ich dränge mich bis zur Waggontür und melde mich durch Klopfen. Die Tür wird geöffnet, ich springe auf den Schotter des abschüssigen Bahndamms. Ein stechender Schmerz schießt in meinen Knöchel. Mühsam rapple ich mich hoch und humple mit zusammengebissenen Zähnen hinter einem Bewacher her, ein zweiter folgt mir. So gelangen wir zum Dienstabteil des Transportführers. Zitternd vor Kälte, Angst und unterdrücktem Schmerz stehe ich da.“ [5]
Lorenz Landstorfer, glühender Verehrer Amon Göths, wollte wissen, wann dieser Geburtstag habe und bat ihn, ein Gratulationstelegramm an Göth zu entwerfen. Hierfür ließ er den Zug auf freier Strecke, mit insgesamt 50 Waggons anhalten.
„Da stehe ich also, ein jüdischer Häftling irgendwo in Schlesien auf dem Weg zwischen zwei Konzentrationslagern, und formuliere unter SS-Bewachung bei Scheinwerferbeleuchtung Gratulationstelegramm A und Gratulationstelegramm B für einen Massenmörder.“
– ebenda, S. 202
Erniedrigung beim Eintreffen im KZ
Der Aufenthalt in Groß-Rosen dauerte 7 Tage. Als die Häftlinge ankamen, mussten sie sich alle komplett entkleiden und eine ganze Nacht stehend auf dem Appellplatz verbringen. Die Häftlinge wärmten sich gegenseitig, indem die Außenstehenden immer wieder nach innen wechselten. An dem nächsten Tag wurden sie in die Desinfektionsanstalt geschickt, wo ihnen auch Körperhaare abrasiert wurden. Die Unsicherheit und Angst hielt an, denn es war nie sicher, ob diese Leute von der Liste überleben oder doch noch umgebracht würden.
Informationsquelle der Häftlinge
Landstorfer wurde nach der Ankunft in Groß Rosen wieder nach Lager Plaszów zurückbeordert, hinterließ aber den SS-Leuten zwei Häftlingsnamen als Kontaktpersonen: Marcel Goldberg und Mietek Pemper. Immer wenn die SS etwas wissen wollte, wurde diese beiden gerufen, da aber Mietek Pemper eine Verletzung am Fuß hatte, ging Goldberg vorwiegend zu diesen Treffen, auch in der Hoffnung, sich Privilegien zu verschaffen. Selbst im KZ Groß Rosen strich Goldberg noch Namen von der Liste und setzte neue ein. Da diese Liste nicht mehr erhalten ist, bleibt unklar, wie viele der 700 Männer, die Brünnlitz erreichten, in letzter Minute ausgetauscht wurden. Einer der Ausgetauschten war der Vater des später weltberühmten Regisseurs Roman Polanski, aber auch Noah Stockmann, der mit SS-Untersturmführer Leipold „befreundet“ gewesen war, wurde von der Liste gestrichen.
Ankunft in Brünnlitz
Am 22. Oktober kamen die Häftlinge in Brünnlitz an, wo bereits eine stillgelegte jüdische Spinnerei nach den Vorschriften der SS mit Wachtürmen, Stacheldraht, einer Küche, einer Krankenabteilung und separaten Schlaflager für 700 Männern und 300 Frauen ausgerüstet worden war. Die Maschinen aus Oskar Schindlers Fabrik Krakau-Zablocie, mit denen Granatenteile produziert werden sollten, waren ebenfalls bereits angeliefert worden. Die Wachmannschaft bestand von älteren SS- Männern, die Oskar Oskar Schindler von Anfang an mit Geschenken und Alkohol bei Laune hielt.
Die Fahrt der Frauen
Die weiblichen Häftlinge aus Plaszow hatten am 22.Oktober Krakau verlassen und waren am 23.Oktober in Auschwitz-Birkenau angekommen. Da im KZ Groß Rosen kein Frauenlager mehr existierte, mussten sie entsprechend der Vorschrift, dass Insassen bei einer Einlieferung in ein Lager im Reichsgebiet auch an den Genitalien rasiert werden mussten, nach Auschwitz gebracht. In Auschwitz wurde die Gruppe von 300 Frauen auseinander gerissen und es war nicht leicht, genau diese 300 Frauen wieder nach Brünnlitz zu transportieren, da in Auschwitz erhebliche Überfüllung und Desorganisation herrschte. Aber da die Liste von der Amtsgruppe D bewilligt worden war, galt sie aber als verbindlich.
Namentlicher Aufruf der Frauen bedeutet die Rettung
Die Aufseherinnen in Auschwitz mussten die „Schindler-Frauen“ aus den vielen Baracken auf dem riesigen Lagergelände einzeln aussortieren. Für den Abtransport nach Brünnlitz wurden die Frauen tatsächlich namentlich ausgerufen, was sonst nie geschah, denn in Auschwitz zählte ansonsten nur die Nummer.
„Wir stanken unheimlich, denn es gab noch nicht einmal einen Eimer. Was der arme Oskar Schindler riechen musste, muss entsetzlich gewesen sein. Die Frauen, die ihn bereits aus der Emalia kannten, bekamen bei seinem Anblick hysterische Anfälle. Er lächelte subtil, und dort, wo in der Nähe keiner von den Deutschen war, gelang es ihm, uns zuzuflüstern, dass wir jetzt in Sicherheit wären. Von diesem Augenblick an glaubte ich an Oskar Schindler, an seinen wahren Willen, uns zu retten.“
– Aussage von Stella Müller-Madej in einem Fernsehinterview, in: Spiegel-TV-Dokumentation, Vox 2003
Mietek Pempers Mutter
Die Mutter von Izak und Natan Stern, Perla Stern sowie Mietek Pempers Mutter, Regina Pemper, kamen nie im Lager Brünnlitz an. Perla Stern hatte sich mit Typhus infiziert und starb in Auschwitz. Mietek Pempers Mutter Regina wurde am 3. November 1944 wegen ihrer Gehbehinderung aussortiert. Anstelle der beiden Frauen erreichten zwei andere Frauen Brünnlitz.
Regina kam in Auschwitz in eine internationale Baracke für nicht voll arbeitsfähige Frauen. Zu dieser Zeit fanden keine Selektionen für Massentötungen mehr statt. Dies war als „Geste des guten Willens“ von Himmler zu verstehen, der gegenüber den Alliierten seine Verhandlungsposition als „Nachfolger Hitlers“ zu stärken versuchte. Am 27. Januar 1945 befreiten russische und polnische Soldaten das KZ Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau. Mietek Pempers Mutter Regina Pemper überlebte die Hölle von Auschwitz um 8 Jahre.
Einzelnachweise
- ↑ Oskar Schindler an Dr. K:J.Ball-Kaduri, YadVashem, 9. September 1956, in: Koffer von Oskar Schindler, Mikrofilm, Bundesarchiv Koblenz.
- ↑ Oskar Schindlers Bericht aus „Oskar Schindlers Koffer“.
- ↑ Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 199
- ↑ ebenda, S.199
- ↑ ebenda, S. 201
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