Kapitel 3 - Im Ghetto

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Juden in Krakau, die gezwungen werden, die Mauer um ihr Ghetto zu errichten (1941)
Juden in Krakau, die gezwungen werden, die Mauer um ihr Ghetto zu errichten (1941)

Inhaltsverzeichnis

Die Errichtung des Ghettos

Ghetto Krakau
Ghetto Krakau

Am 6. März 1941 verkündete die Krakauer Zeitung die Errichtung eines Ghettos aus wirtschaftlichen und polizeilichen Erwägungen. Durch diese Maßnahme verschärfte sich die Ausgrenzung der Juden erneut. Für die nichtjüdischen Bewohner des Stadtteils Podgorze bedeutete diese Maßnahme die Räumung ihrer Wohnungen, Geschäfte und Werkstätten. 15 000 Juden sollten in einem Gebiet unterkommen, das zuvor 3000 Menschen als Wohnraum gedient hatte. Der Wohnraum wurde nach Fenstern berechnet. Vier Personen pro Fensterachse. Wenn also ein Zimmer zwei Fenster hatte, wurden bis zu acht Personen in diesem Raum untergebracht. Für Möbel war meist kein Platz mehr.

Schließung des Ghettos im März 1941

Am 20. März 1941 schlossen die Nationalsozialisten die Tore des Ghettos. Nur ganz bestimmte Berufsgruppen durften in den als „jüdischen Wohnbezirk“ bezeichneten Stadtteil ziehen, vornehmlich Facharbeiter in Fabriken mit kriegswichtiger Produktion, darüber hinaus Alte, Kranke und nicht Transportfähige. Juden, die diesen Kriterien nicht entsprachen, mussten außerhalb der Stadt leben.

Mieteks Familie

Die Familie Pemper
Die Familie Pemper

Mietek Pempers Eltern und sein jüngerer Bruder mussten nach Wisnicz, einem Ort 50 km südlich von Krakau ziehen, da sie keiner der obigen „Anforderungen“ entsprachen. Mietek selbst kam bei seinem Onkel mütterlicherseits in Zielonki unter, erhielt jedoch kurz darauf eine Zuzugsgenehmigung für das Ghetto.

Die SS gewinnt den Konkurrenzkampf mit dem Generalgouverneur

Generalgouverneur Hans Frank
Generalgouverneur Hans Frank
Reichsführer SS Heinrich Himmler
Reichsführer SS Heinrich Himmler

Dort arbeitete er für die Gemeinde (Judenrat), wodurch er die deutsche Besatzungspolitik aus nächster Nähe verfolgen konnte. Nachdem Hitler im März 1941 verkündet hatte, das Generalgouvernement „judenfrei“ zu machen, entstand ein Konkurrenzkampf zwischen SS und den Zivilbehörden des Generalgouvernements um die Befehlsgewalt über das Ghetto. Obwohl der Reichsführer SS Himmler ebenso wie Generalgouverneur Hans Frank eingefleischte Antisemiten waren, kam es zwischen beiden zu einem erbitterten Kompetenzstreit über die Lösung der Judenfrage. Sollten die eingezogenen Vermögenswerte in die Kassen der Reichsbank fließen oder nach Krakau in die Kassen des Generalgouverneurs? Im November 1941 konnte Himmler den Kampf für sich entscheiden.

Aktion Reinhard: Ermordung der Juden

Oswald Pohl
Oswald Pohl

In der am 16. Juli 1941 in der Wolfsschanze im Führerhauptquartier in Ostpreußen stattfindenden Konferenz wurde die Aktion Reinhard beschlossen. Bereits zwei Tage später erteilte Himmler in Lublin dem SS- und Polizeiführer des Distrikts, SS-Sturmbannführer Hermann Höfle den Auftrag, alle Juden im Generalgouvernement zu ermorden. Bei diesem Gespräch war auch der SS-Obergruppenführer Oswald Pohl, späterer Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes (WVHA) zugegen. Die Maßnahmen gegen die Juden sollten im Vernichtungslager Belzec erfolgen. Belzec lag östlich von Krakau an der Bahnstrecke zwischen Lublin und Lwow (Lemberg). Innerhalb von 8 Monaten wurden dort 600 000 Juden mit Kohlenmonoxyd ermordet. [1]

Im Krakauer Ghetto ahnte man davon nichts. Dort wo die Züge endgültig anhielten, gab es kein größeres Lager, keine Baustelle, keinen Straßenbau, keine Fabrik. Lediglich die leeren Züge und der Geruch von verbanntem Fleisch ließen diesen Genozid vermuten.

Aufgrund seiner Arbeit als Behördenkorrespondent konnte Mietek Pemper Änderungen im Aufgabenfeld der Zivilverwaltungen feststellen. Zum Jahresanfang 1942 wurde der Kompetenzbereich in „Judenangelegenheiten“ von der Zivilverwaltung auf die deutsche Sicherheitspolizei, gemeinhin bekannt als Gestapo übertragen.

Machtverhältnisse vor Ort

Friedrich Wilhelm Krüger
Friedrich Wilhelm Krüger

Durch seine Stellung begann Mietek Pemper nun all diese Zusammenhänge zu begreifen. Der Höhere SS- und Polizeiführer Ost, General Friedrich Wilhelm Krüger, der auf dem Wawel residierte, war der oberste Chef aller SS- und Polizeidienststellen im Generalgouvernement. Sein Adjutant war SS-Hauptsturmführer Graf Korff. Ihnen waren die Befehlshaber der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei der vier Distrikte Warschau, Krakau, Radom und Lublin, später auch noch der Distrikt Galizien mit der Hauptstadt Lemberg direkt unterstellt. SS- und Polizeiführer des Distriktes Krakau war Oberführer Julian Scherner. Er und Korff verstanden sich offensichtlich gut mit dem späteren Lagerkommandanten Amon Göth, denn sie waren des Öfteren bei Gelagen in Göths Villa zu Gast.

Rerum cognoscere causas: Die Vernichtungsaktionen

Jüdische Gefangene in Belzec
Jüdische Gefangene in Belzec

Pemper ahnte, dass etwas Schreckliches bevorstand, nur wusste er nicht, um was es sich handelte. Im Frühjahr 1942 mussten sich alle Juden, die im Ghetto wohnten, mit ihren Arbeitsdokumenten und ihrer Kennkarte einfinden. Am 1. Juni 1942 fand die erste Vernichtungsaussiedlung nach Belzec statt. Unter dem Vorwand, als Erntearbeiter in der Ukraine beschäftigt zu werden, schickten die Nazis v. a. Alte, Kranke, Frauen und Kleinkinder nach Belzec.

Zweite Vernichtungsaussiedlung

Bereits am 8. Juni erfolgte die zweite Vernichtungsaussiedlung. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Krakaus, Dr. Arthur Rosenzweig war einer der Betroffenen. Infolge dieser Entwicklungen setzte Mietek Pemper alles daran, seine Eltern und seinen jüngeren Bruder Stefan ins Krakauer Ghetto zu schaffen und ihnen kriegswichtige Arbeit zu besorgen, was ihm nach größeren Anstrengungen auch bei allen dreien gelang [2] Sein Vater entkam so der bereits statt findenden „Umsiedelungsaktion“ aus Wisnicz mit knapper Not.

Dritte Vernichtungsaussiedlung

KZ Belzec
KZ Belzec

Die dritte „Aussiedlungsaktion“, wie die Transporte zum Vernichtungslager in Belzec euphemistisch deklariert wurden, fand am 28. Oktober 1942 statt. Mietek instruierte seinen Vater, von seiner Arbeitsstelle am Flugplatz nicht ins Ghetto zurückzukehren. Im Zuge dieser Deportation wurde die Hälfte aller noch im Ghetto lebenden Juden nach Belzec geschickt. Die Tatsache, dass eine jüdische Widerstandsgruppe nach einem Terroranschlag in der Weihnachtszeit 1942 blutig zerschlagen wurde, zeigt die Aussichtslosigkeit solcher Unternehmungen. Pemper wählte für sich einen anderen Weg, nämlich den des Widerstandes ohne Waffen.

Chance zum Überleben?

Dank seiner Stellung als Behördenkorrespondent bei der Jüdischen Gemeinde wurde Pemper bewusst, dass es nur noch Ausnahmegenehmigungen für Firmen gab, Juden in ihren Betrieben anzustellen. Nur wenige Juden sollten „kaserniert in Zwangsarbeiterlagern oder in Konzentrationslagern“ als Arbeitssklaven überleben, allen anderen drohte der Transport in die Vernichtungslager. Pemper zog aus den Korrespondenzen den Schluss, dass die Verwendbarkeit der Juden in der Kriegswirtschaft zum immer wichtigeren Kriterium des Überlebens wurde.

Zusammentreffen mit Göth

Amon Göth im Alter von etwa 30 Jahren
Amon Göth im Alter von etwa 30 Jahren

Im Februar 1943 traf Pemper zu ersten Mal Amon Göth. Im Vergleich zu Pemper war dieser ein Hüne von Mann, fast zwei Meter groß. Göth kam ins Ghetto, um mit Ärzten zu sprechen. Dr. Alexander Biberstein, ein angesehener Internist teilte beim Kriegsverbrecherprozess gegen Göth folgende Einzelheiten des Treffens mit:

Ungefähr Mitte Februar (1943), also während die Baracken gebaut wurden, beauftragte mich die Jüdische Gemeinde, auf Göths Aufforderung in das Lager zu gehen. Ich war mit Dr. Schwarz auf dem Weg ins Lager, um mit dem Angeklagten den Bau des Krankenhauses und der Sanitäranlagen im Lager zu besprechen, wie uns die Jüdische Gemeinde mitgeteilt hatte. Wir kamen unter Eskorte im Lager an. Den Angeklagten haben wir nicht in der Baracke angetroffen. Nach einer Weile kam der Angeklagte und forderte uns sehr höflich dazu auf, uns hinzusetzen. Derweil bot er uns eine Zigarette an. Ich möchte übrigens betonen, dass während des ganzen Gesprächs kein einziges Mal das Wort ‚Jude’ oder ‚Häftling’ gefallen ist, im Unterschied zu dem, was Göth später sagte. Er wolle, so fuhr Göth fort, dass die Arbeiter eine gute Verpflegung bekämen, dass sie eine hervorragende ärztliche Versorgung erhielten. Für die Intellektuellen werde er sogenannte geistige Baracken errichten lassen, die Wäsche solle jede Woche gewechselt werden. Diese Konferenz machte auf einige unserer Kollegen einen guten Eindruck. Ich dagegen hielt es für List, Tücke und Zynismus“.[3]

Liquidierung des Ghettos

Juden sammeln ihren Besitz bei der Räumung des Krakauer Ghettos
Juden sammeln ihren Besitz bei der Räumung des Krakauer Ghettos

Bei der Liquidierung des Ghettos am 13. und 14. März 1943, der vierten Vernichtungsaktion wurden alle überlebenden Juden ins offizielle Zwangsarbeiterlager Plaszow getrieben. Dort lernte Pemper Amon Göth dann von einer anderen Seite kennen. Trotz eines Knöchel- und Unterschenkelbruches des Vaters konnte Mietek ihn vor dem sicheren Tod bewahren, indem er dafür sorgte, dass er vom Ghetto ins Lager transportiert wurde. Das Massaker bei der Auflösung des Krakauer Ghettos überlebten nur etwa 8000 Menschen.

Im KZ Plaszow

Eingang des Konzentrationslagers Plaszow
Eingang des Konzentrationslagers Plaszow

Amon Göth war von Lublin nach Krakau versetzt worden und hatte sich bei der Auflösung von Ghettos im Distrikt Lublin einen gefürchteten Ruf erworben. Pemper hatte Göth bei der Auflösung des Krakauer Ghettos als grausamen Mörder erlebt, der keinerlei Mitleid kannte. Henryk Mandel berichtete 1946 bei seiner Zeugenaussage gegen Göth folgendes:

Es wurde die Nachricht verbreitet, dass der neue Kommandant ein Wiener sei und dass sich die Verhältnisse im Lager nun verbessern würden. Schon nach zwei Tagen konnten wir uns überzeugen, wie die Verbesserung aussah. Der Angeklagte rief alle Arbeitsleiter zu sich und hielt eine Rede. Er erklärte, er übernehme das Lager in Krakau-Plaszow und erwarte von allen eine exakte Ausführung seiner Befehle. Als Beweis dafür, dass er es ernst meinte, ließ er jedem von ihnen noch eine Anzahl Schläge verpassen. Ein paar Tage später wurden zwei Frauen öffentlich erhängt.“[4]

Stefan Pemper als Lebensretter

Mietek Pemper vor der IKG München am 10.07.1994
Mietek Pemper vor der IKG München am 10.07.1994

Mieteks Bruder Stefan half Izak Stern, seinen fünfjährigen Neffen Menachem aus dem Lager zu schmuggeln und damit dessen Leben zu retten. Heute lebt Menachem Stern als Arzt in Tel Aviv. Im Jahr 2004 schrieb er: „Ich denke an Stefan Pemper, einen vierzehn Jahre alten jüdischen Jungen, der mir half, 1943 aus dem Lager zu fliehen.“[5]

Einzelnachweise

  1. Kurt Gerstein, Aus dem Gerstein-Bericht, in: Walther Hofer, Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945; Frankfurt/Main 1957, S. 307-312
  2. Mietek Pemper; der Rettende Weg ; Hamburg 2005; S 51
  3. Aussage von Aleksander Biberstein. In: Proces Ludobojcy Amona Goetha (Prozess gegen Amon Leopold Göth). Vom 26. August bis zum 5. September 1946; Krakau 1947. Übersetzung ausgewählter Abschnitte des Buches ins Deutsche von Katharina Karpinska und Eleanora Blazniak, Juli 2004
  4. Aussage von Henryk Mandel beim Prozeß gegen Amon Leopold Göth
  5. Menachem Stern, Berliner Zeitung, 24. Januar 2004. Stefan Pemper war damals allerdings 17 Jahre alt.
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