Kapitel 22 - Trügerischer Gesundheitsappell

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Göth, Urheber vieler Exekutionen
Göth, Urheber vieler Exekutionen

Inhaltsverzeichnis

Göths teuflischer Plan

Gerhard Maurer mit Emily Polyn-Cobb
Gerhard Maurer mit Emily Polyn-Cobb

Als im März 1944 die Deutsche Wehrmacht in Ungarn einmarschierte, wurden hunderttausende ungarische Juden dem „Kommando Eichmann“ ausgeliefert. Doch nicht alle wurden sofort in Vernichtungslager gebracht, man benötigte einen Teil der ungarischen Juden als Sklaven. Daher erfolgte per Fernschreiben in der zweiten Aprilhälfte 1944 eine Anfrage von SS-Obersturmführer Gerhard Maurer an alle KZ- Kommandanten wie viele Juden sie vorübergehend aufnehmen könnten. Amon Göth wollte den Herren in Berlin imponieren und antwortete, er könnte 8000 ungarische Juden aufnehmen, wenn er die Pritschen doppelt belegen dürfe, die Häftlinge würden in Tag- und Nachtschicht arbeiten. Dieser Vorschlag wurde aus Angst vor Seuchen abgelehnt, doch Göth wollte machte einen weiteren Vorschlag: Er könne 6000 ungarische Juden aufnehmen wenn er dafür alle nicht voll arbeitsfähigen Juden nach Auschwitz zur „Sonderbehandlung“ deportieren dürfe. Die Zustimmung Maurers zu diesem Mordplan traf umgehend ein.

Der Gesundheitsappell

Der Appellplatz des Lagers Plaszow
Der Appellplatz des Lagers Plaszow

Am 7. Mai 1944 mussten alle Lagerinsassen zum Gesundheitsappell mit dem Motto „Entsprechende Arbeit für Jeden“ antreten. Nur Mietek Pemper, dem dieses Appell verdächtigt vorkam bat Göth um seine Erlaubnis vom Appell fernbleiben zu dürfen. Frauen und Männer versammelten sich auf getrennten Plätzen und mussten sich nackt ausziehen. Die Häftlinge müssen sich einem Fitnesstest unterziehen. Diejenigen, die in den Augen des „Gesundheitskomitees nicht bestehen, werden auf die Todesliste gesetzt. Eine Woche erfolgt bei einem weiteren Appell die Selektion. Wie immer beginnt man mit Abzählen, dann werden die Namen derer aufgerufen, die sich wie gewohnt zur Arbeit begeben dürfen. Die anderen bleiben auf dem Appellplatz zurück und sollen nach Auschwitz transportiert werden. Plötzlich herrscht lähmendes Entsetzten. Während des Appells wurden alle Kinder aus dem Kinderhaus herangeführt und mussten vor den Augen ihrer Eltern und Verwandten zu den LKWs marschieren.

Ein kleines Kind versucht auf allen Vieren zu fliehen. Eine Aufseherin schlägt mit der Peitsche auf das Kind ein, packt es dann bei den Händchen und wirft es wie einen Sack auf die Ladefläche. ..........

Das Leid der Mütter ist unbeschreiblich. Sie werfen sich auf die Erde, reißen sich die Haare aus, einige kriechen zur Bank, wo Göth sitzt, werden aber von Aufseherinnen mit Peitschenhieben gnadenlos auf ihre Plätze zurückgetrieben. Göth zeigt sich ungerührt, fast gelangweilt, schließlich stehen er und seine Begleiter auf, gehen zu den Autos und fahren davon.“[1]

Etwa 1400 kranke und alte Häftlinge, darunter 286 Kinder wurden an diesem Sonntag nach Auschwitz geschickt. In einem Telegramm gibt Göth am Nachmittag die genauen Zahlen nach Auschwitz durch – ein Massenmord, der von niemand befohlen worden ist, einzig und allein aus seiner Initiative heraus.

Ein bisschen Glück und Freude

Als die „übriggeblieben“ Häftlinge am Abend zu ihren Baracken zurückkehren durften fanden sie eine große Überraschung vor. 20 Kinder, vor allem die Kinder der OD-Leute, hatten überlebt. Sie konnten sich in Müllhaufen verstecken, oder in der Latrine wie der 10-jährige Jerzyk Spira und Julius Cinz. Einer Mutter gelang es, ihre Tochter in der Nähereibaracke zu verstecken. Auch die Mutter von Gena Goldfinger, deren Name auf der Todesliste stand, konnte sich retten und ihre Tochter wieder in die Arme schließen.

Erneuter Appell am selben Abend

Portrait von Dr. Gross
Portrait von Dr. Gross

Am selben Abend mussten die Häftlinge erneut zum Appell antreten und alle fürchteten einen weiteren Abtransport.

Bald ist klar: Göth will seinen Killern noch etwas ‚Unterhaltsames’ für den Abend bieten. Opfer sind die Patienten aus der Krankenstube, die vom Revierältesten Dr. Gross auf den Appellplatz geführt werden; jene, die noch einigermaßen bei Kräften sind, tragen die Schwerkranken und Gehunfähigen auf Bahren. Der Chefarzt Dr. Blancke fährt in einem Auto vor, dann tauchen, angetrunken und mit Peitschen in den Händen, Hujar, Landstorfer, Müller und mehrere Kapos auf; ein mit Karabinern bewaffnetes Spezialkommando marschiert auf. Dr. Gross übergibt die Liste der Kranken an die SS-Offiziere, dann darf er sich zurückziehen, während die Männer des Spezialkommandos ihre Opfer, manche können kaum gehen, mit Peitschenhieben und Kolbenschlägen auf den Schwanzhügel zur Exekution treiben. Es ist als ob die Mörder das Töten nicht erwarten können: Bereits auf dem Weg hinauf zum Hügel feuern sie auf die Menschen auf den Bahren. Jene, die bis hinauf gelangen, werden einzeln erschossen, schließlich will jeder aus der Meute zu seinem ‚Schuss’ kommen.“[2]

Fassade des Montelupich-Gefängnisses
Fassade des Montelupich-Gefängnisses

Nun wurden fast jeden Tag Menschen aus dem Montelupich-Gefängnis von der Gestapo auf den Schwanzhügel zur Exekution gebracht.

„...die Hände meist mit Draht gefesselt führt man sie zur Böschungskante des Grabens um die alte Geschützstellung, wo sie sich hinsetzen müssen. Dann sucht einer der Gestapobeamten einen ‚passenden’ Platz für die Exekution, holt eines der Opfer heran, nimmt ihm die Drahtfessel ab und befiehtl ihm mit vorgehaltener Pistole sich nackt auszuziehen und die Kleider fein säuberlich zusammenzulegen. Alles dauert nur mehr Sekunden: Das Opfer muss sich vor dem Gestapobeamten an den Rand der Böschung knien, dieser zielt und schießt ihm von hinten in den Kopf. Das Ertönen des ersten Schusses ist für die todgeweihten Schicksalsgenossen endgültig das Zeichen voneinander Abschied zu nehmen,ehe der Gestapo-Häscher, meist sogar ein ‚Referent’ in Zivil, wieder auftaucht und sein nächstes Opfer abführt........[3]

Die „Leichenkolonne“

Verbrannte Juden im Ghetto von Zychlin
Verbrannte Juden im Ghetto von Zychlin

Nach der Erschießung tritt die aus drei oder vier jüdischen Häftlingen bestehende ‚Leichenkolonne’ in Aktion: Aus dem Bauhof bringen sie alte Holzbalken, aus denen sie im Graben so etwas wie ein Gerüst errichten. Darauf legen sie die Leichen der Getöteten und beginnen dann mit der Kontrolle der Gebisse; eventuell vorhandene Goldzähne werden mit einer Zange aus den Mündern der Toten gerissen, der Blutlohn für Göth, der für seine ‚Dienstleistung’ – eine Hinrichtungsstätte mit ‚Infrastruktur’zur Verfügung zu stellen – auch etwas an persönlicher ‚Gebühr’ einbehalten will. Das Gerüst mit den Toten wird anschließend mit Benzin übergossen und in Brand gesteckt. Wie Tadez Sliwinsk beobachtet, brennt so ein Leichenstoß etwa vier Stunden, wenn es feucht ist, sogar die ganze Nacht.“[4]

Stella Müller wird Zeugin einer Hinrichtung und stellt sich die Frage nach der Ursache des Hasses

Portrait von Stella Müller, Krakau, 1950
Portrait von Stella Müller, Krakau, 1950

Ich frage mich, ob diese Menschen, denn Menschen sind sie schließlich- sie haben Köpfe, Arme, Beine – wohl Familie haben. Besitzen sie die Fähigkeit zu leiden, zu lieben, sich zu fürchten? Den Tag werde ich vermutlich nicht erleben, dass mir jemand darauf eine Antwort zu geben vermag. Ich kann diesen schrecklichen Hass auf uns alle, die wir eingesperrt und wehrlos sind, nicht verstehen .... Alles in mir wird zur Klage, zu laut- und tränenlosem Weinen. Auch das Weinen ist verboten[5]

Einzelnachweise

  1. J. Sachslehner, a.a.O., S. 308-310
  2. J. Sachslehner, a.a.O., S. 312
  3. ebenda, S. 314
  4. J Sachslehner, a..a.O., S. 314
  5. J. Sachslehner, a.a.O., S. 315
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